I found the following very interesting review of some live Karajan performances, and even here his orchestral approach is described as
kammermusikalisch even with Hotter, Nilsson and Windgassen:
http://members.chello.at/hedda.hoyer/Sa ... ber-60.htm
DER SEPTEMBER 1960
5. Jahrgang, Heft 10
DER RING DES NIBELUNGEN
DAS RHEINGOLD am 1. September
DIE WALKÜRE am 3. September
SIEGFRIED am 5. September
GÖTTERDÄMMERUNG am 8. September
Wir finden, es war eine vernünftige Disposition und zwar aus drei Gründen:
1./ Es war ein festlicher Beginn – es wurde nicht „so irgendwie" angefangen, wie dies bisher meist geschah.
2./ Es erleichtert ein ordentlicher Ring den Übergang vom Festspielsommer zum Repertoiregetriebe.
3./ Ein Wiener „Herbst-Ring" liegt, was das Ensemble betrifft, gerade richtig zwischen Bayreuth und den traditionellen beiden Londoner Ringen vor Saisonbeginn und den Wagner-Aufführungen der amerikanischen Herbst-Saisonen.
Wir hatten also zur Verfügung, was im Wagner-Fach gut und teuer ist, mit Ausnahme eines repräsentativen Gibichungen-Geschwisterpaares, das wir aber bei einigem Weitblick im eigenen Ensemble aufzutreiben durchaus in der Lage wären.
Die Philharmoniker erwiesen sich nach arbeitsreichem Sommer in prächtiger Form und Spiellaune, was nicht ganz ohne Proben abgegangen sein dürfte. Herbert von Karajan war wieder ein kraftvoller, überlegener Ring-Dirigent, der die diversen musikalischen, technischen, handwerklichen und nicht zuletzt gedanklichen Probleme diese Riesenwerkes meisterte, als habe er 36 Mann Orchester und eine Zweieinhalb-Stunden-Oper vor sich. Es ist unglaublich, welche Reserven von Kraft und Konzentration dieser Dirigent hat und mit welcher Meisterschaft er allen Ebenen des gewaltigen Werkes gerecht wird. Wir erinnern uns gerne der gewaltigen, von großem edlen Pathos erfüllten Aufführungen von Walküre und Götterdämmerung unter Furtwängler und Knappersbusch. Rheingold und Siegfried haben wir aber nie so gehört wie unter Karajan. (Diese Abende können sich nämlich ganz schön ziehen, wenn man sie pathetisch macht!) Wir erinnern uns keines so fließend-romantischen und doch dabei glasklaren, spannungsreichen und Kontraste schaffenden Musizierens.
Auf der Bühne kann man deutlich das Wachsen des Ringes und das Wachsen des Regisseurs Karajan an ihm beobachte, das in der Götterdämmerung einen Höhepunkt erreicht hat. Es wären nun, da der Ring steht, etliche kleine Verbesserungen, besonders an den Kostümen, vorzunehmen. Und vor allem sollte man den ersten Akt Siegfried direkt auf den Bühnenboden und nicht auf einen Aufbau stellen. Da hätten es die Sänger leichter.
Die im wahrsten Sinne des Wortes überragende Figur in der Tetralogie schuf Hans Hotter. Es ist schwierig, über seinen Wotan und Wanderer etwas Neues auszusagen, die Konsequenz zu beschreiben, mit der die Figur vom ersten Erklingen des Walhall-Motivs im Rheingold bis zum gefaßt-resignierenden Abgang im dritten Akt Siegfried gestaltet ist. Und der Gestaltung adäquat ist die dunkle Stimme, deren Modulationsfähigkeit immer neu überrascht.
Birgit Nilsson hat sich ehrlich und mit Fleiß die Brünnhilde erarbeitet und imponierte wieder durch die geballte Kraft ihres leuchtend-dramatischen Soprans – wenn sie auch nicht ganz so mühelos sang wie etwa bei der Götterdämmerungs-Premiere im Juni vergangenen Jahres.
Wolfgang Windgassen bemühte sich redlich. Manchmal fehlte es ihm an Stimmstärke – er hat natürlich wieder einmal zu viel gesungen. Seit der Zeit, als er begann, Wagner zu singen hat er sich sehr geändert. Wir erinnern uns, wie glatt und mühelos, fast wie Tamino, er in seinen ersten Wagner-Jahren sang, und es ist interessant zu beobachten, wie das Wachsen des Ausdrucks, das bei ihm ja sehr stark merkbar ist, die Stimme angreift, sie herber und rauher macht. Nur stört das nicht, wenn er sich in guter Form befindet. In schwächerer Verfassung sind mühevolle und manchmal nicht ganz saubere Ansätze nicht zu überhören – aber es ist natürlich müßig, davon überhaupt zu reden, wenn Windgassen alle wesentlichen Aufführungen des Ring des Nibelungen allein bestreiten muß. Man wünscht es ihm, daß sich die Herren Vickers oder Uhl in absehbarer Zeit über den Siegfried stürzen, andererseits kann man keinem Sänger dieses mörderische Fach wünschen. Regine Crespin sang die Sieglinde mit Bayreuth-Erfahrung, gut durchdacht und sauber. Es kam allerdings wenig über die Rampe, zumal sich Windgassen ja auch mit dem Siegmund nicht gerade leicht tut. Und interessant: Wenn nichts von der Bühne ausstrahlt, wird Karajan sofort kammermusikalisch. Und so gab es einen ersten Akt Walküre wie bei Karajans ersten Wiener Opernabenden. Mit dem Auftritten von Hans Hotter und der mitreißenden Rita Gorr (Fricka) wuchs der Abend aber zu harter dramatischer Wucht.
Mittel- und Höhepunkt des SIEGFRIED war diesmal nicht das Waldweben (die Holzbläser wirkten wie infiziert vom obligat unsicheren Horn und sogar die blühende Soloklarinette rutschte einmal ein bißchen ab), sondern eine prachtvolle Wala-Szene und ein hymnisch-jubelndes Schlußduett, das allerdings von Birgit Nilsson eher im Alleingang gesungen wurde.
In der GÖTTERDÄMMERUNG sang Gottlob Frick, der sich schon als Fafner und auch als Hunding bestens bewährt hatte, einen prachtvollen Hagen. Die beiden anderen Bewohner der stolzen Halle am Rhein, Carlos Alexander und Paula Brivkalne, waren nicht vorhanden. Ein Detail ist übrigens allen Italiener-Hassern bisher entgangen, nämlich die goldene Adlerfeder, die als Kopie eines in Italien aufgefundenen Schmuckstückes aus der Völkerwanderungszeit ein wesentlichere Dekorationselement der Halle ist. Welscher Tand sogar in der Gibichungenhalle! Hoffentlich stammt das Stück wenigstens von Goten oder Langobarden.)
Auch in der Götterdämmerung fiel wieder die ausgezeichnete Verfassung von Alois Pernerstorfer auf, der seine bisher besten Alberich sang. Die Mannenchöre sind am Beginn immer unsicher und finden sich erst im Mittelteil des Chores. Um so besser war das Orchester, das mit Trauermusik und Schlußgesang (im Verein mit der prachtvollen Birgit Nilsson) Großartiges leistete.
Was uns noch auffiel: Textliche Unsicherheiten bei den Sängern. Bei dem sonst sehr guten Peter Klein zum Beispiel, um bei dem ansonsten großartigen Loge von Gerhard Stolze zu einer fatale Situation am Schluß des RHEINGOLD zu führen, die er aber souverän meisterte. Weiters gab es eine interessante, mit Riesenstimme sehr schön gesungene und vortrefflich phrasierte Rheingold-Fricka und Waltraute von Rita Gorr, sehr gute Leistungen der Rheintöchter (im Rheingold Wilma Lipp, Margareta Sjöstedt, Hilde Rössel Majdan, in der Götterdämmerung mit Gundula Janowitz, Margareta Sjöstedt, Hilde Rössel-Majdan ) und passable Walküren. Aus dem Nornen-Trio ragte Christa Ludwig eindeutig heraus. Die Götterpartien im Rheingold waren mit Anton Dermota (Froh) und Eberhard Wächter (Donner) besetzt.